Resonnanz
Trauma Trash &Trost
Auszug der Einführung zur Ausstellung Trauma, Trash und Trost in Münsingen am 24. Juli 2024 von Dr. Peter Vollbrecht
Erwin Heigl kam über Umwege zur Kunst, wie es ja öfters der Fall ist. Mit 14 Jahren beginnt er seine Ausbildung als Schriftsetzer, dann als Medien-Designer in Süddeutschland und in der Schweiz. Mit Anfang 20 eröffnet er ein eigenes Büro für Mediendesign, Als knapp Dreißigjähriger beginnt er ein Studium der Erziehungswissenschaften in München und Schwäbisch Gmünd Es folgen diverse Publikationen im Bereich der Erziehungswissenschaften, er betätigt sich als erziehungswissenschaftlicher Couch, der den Eltern in schwierigen Situationen beispringt. Künstlerisch arbeitet er mit den verschiedensten Materialien zur sogenannten Mixed-Media-Kunst.
Doch dann schwenkt er auf Computerkunst über, Digital Art, so lautet wohl der Fachausdruck dafür, und er stellt wiederholt zu ökologischen und politischen Themen aus. Voll und ganz hat er sich seit 2018 der Medienkunst verschrieben. 2022 stellt er im Biosphären-Zentrum Münsingen aus, life matters der Titel einer Präsentation von Werken, die die Vulnerabilität der Natur zum Thema hatte und die, pointierter Weise, aus der Zusammenarbeit von Mensch und Maschine entstand. Noch politischer tritt er 2023 auf während einer Ausstellung face of liberty, die mit eindrucksvollen Exponaten an das Schicksal von Dissidenten erinnert, die aber auch das alltägliche Elend an den gesellschaftlichen Rändern aufgreift. Und nun: Trauma, Trash und Trost in Münsingen, veranstaltet von der Stadt in Kooperation mit der Volkshochschule.
Die Ausstellung trägt auch den Untertitel: Tagebuch eines Voyeurs. Erwin Heigl dokumentiert darin seinen vierjährigen Medienkonsum, »um den so zu raffen, dass er in einem Moment präsent wird«. Die Medien also sind das Thema, aber auch er, Erwin Heigl selbst. Wie er sich im täglichen Medienregen findet und verliert. Wie die Tagesmeldungen in den Kopf hineinfinden in alarmierter Schrille, wie sie wieder hinausgelangen durch das schnelle Vergessen und vor allem: was hängenbleibt trotz allem, der trübe Bodensatz aus Trauma, Trash und Trost. Der Regen ist pausenlos, auf allen Kanälen regnet es Nachrichten über die Weltereignisse, doch es ist weniger die Fülle als vielmehr die serielle Gleichförmigkeit, in der die Bombardierung eines Kinderkrankenhauses in Gaza gefolgt wird von der letzten Nachricht aus dem Trainercamp, die aktuelle Aufstellung der Nationalelf betreffend, um dann des Zuschauers Aufmerksamkeit für den Tatort zu beanspruchen. Die Nachrichten lassen uns in einen Weltfilm hineinspringen, um dort eine sekundenkurze Sequenz zu erhaschen, die zusammen mit anderen Weltereignissekunden zu einem Potpourri verquirlt wird. »Da passt etwas schreiend nicht zusammen«, sagt er, »und das prägt unseren Alltag ganz entscheidend in einer in hohem Maße von Medien gelenkten Gesellschaft«. Gerade die serielle Aufbereitung, das Infotainment, in dem Trash auf Trauma folgt, steht dem wirklichen Verstehen entgegen, ja schlimmer noch: es banalisiert das Leid. Immunisiert den Medienkonsumenten gleichsam von der Welt, erzeugt Überdruss, Gleichgültigkeit, ja sogar Resignation angesichts vermeintlicher Ohnmacht.
Erwin Heigl schneidet nun einen Moment aus dem Weltfluss heraus, den wir betrachten, und dann erkennen wir: der Arm gehört zu einem Mann, der in einem Auto sitzt und der dem kauernden Menschenwesen am Straßenrand eine Flasche Wasser reicht. Eine Flasche Wasser, aus einem gepanzerten Fahrzeug der UN, sie lindert das Elend für einen Moment und unterstreicht dabei das Machtgefälle von Helfendem und Opfer. Und vielleicht bemüht sich das betrachtende Auge, in den scharfkantigen Verfremdungen die Expressivität des Lebens zu entdecken und zu rekonstruieren. Im stillgestellten Ereignis treten nämlich die Gesten und die Körpersprache deutlicher heraus, und Erwin Heigl unterstreicht das eigentlich Wesentliche mit der Licht-und-Schatten-Kolorierung seiner Bilder, er ruft die Vorstellungskraft des Betrachtenden auf, er befreit ihn aus seiner bloß konsumierenden Rolle und gibt ihm Autonomie zurück. Die stehenden Bildkompositionen des Erwin Heigl protestieren gegen den medialen Overkill, wo dem Konsumenten seine Empathie erstirbt. In diesem Sinne kann man, ja muss man die Digital Art des Erwin Heigl als ein zutiefst humanistisches Projekt ansehen, das auf der Höhe der Zeit die digital vernachrichtete Welt mit ihren eigenen Mitteln kritisiert.
Was für eine mutige Idee ist es doch, vier Jahre des eigenen Medienkonsums zu protokollieren, um daraus am Ende das Psychogift aus Trauma, Trash und Trost herauszudestillieren. Was es mit ihm gemacht hat, das sehen wir in den Bildern, den Texten, im thematischen Fokus, in der Zu- und Aufbereitung, im selektiven Blick des Erwin Heigl. Zunächst einmal, so antwortet er auf diese Frage, sei er in derselben Position wie jeder Medienkonsument auch. er sei das Gefäß, in das so vieles Ungleichnamiges, so viel Diverses und Chaotisches hineingekippt werde. Ein Verdauungsplan werde hingegen nicht mitgeliefert. Doch dann habe ihn das Vorhaben, sich selbst dabei zu beobachten, in eine reflektierte Position gebracht. … Wie wird man damit fertig, wie legt man das ab? Und wie wird man selber zugerichtet, weil man es ablegen muss, der eigenen psychischen Hygiene wegen? Ja, man kann sich hinein fühlen in die seelische Not, die sich auftut, wenn man näher darüber nachdenkt und infolgedessen auch tiefer empfindet von der notwendigen Abstumpfung unseres Weltblicks.
Aber – da sind ja noch die Texte. Es sind bittere Worte, satirische Worte, zornige Worte, zynische gar, es sind Worte aus dem Vokabular des Protestes und der Gegenwehr. Vielleicht sind sie notwendig, um dem Andrang der Bilder Paroli zu bieten, um wieder fester auf dem Boden zu stehen, um Position zu gewinnen. Und die Worte adressieren sich direkter noch als die Bilder an den Betrachter, die Betrachterin, denn sie lassen ihm, sie lassen ihr vieles nicht mehr durchgehen. Sie stellen sich der Strategie der kleinen Fluchten in den Weg. Da ist ein Text über die biedere Behaglichkeit des Bürgers, der Haus und Hof aufgeräumt hat, bevor er in den Urlaub fährt. Doch auch dort auf Sylt etwa verschont ihn das Unheil der Welt nicht, auch dort tönt der verführerische Gesang der Sirenen aus dem Smartphone: »Schaue und höre, was du versäumst, wenn du jetzt nicht glotzt und daddelst«, so lautet der Text. Aber man hat doch Urlaub, halten wir das Unheil draußen, wir wollen nicht gestört werden vom Weltlärm, wenigstens jetzt nicht, während der kostbarsten Wochen des Jahres.
Ja, es sind bittere Texte, und auf die Frage, ob das nicht alles ein wenig zu düster geraten ist, ob es nicht und wenn ja: wo gibt es Licht im Werk von Erwin Heigl, antwortet er: »Die Hoffnung liegt darin, dass die Betrachter sich auf den Weg machen, anstatt sich in der Resignation zurückzulehnen und zur Ruhe zu setzen.«