Intro
Wir_brauchen_mehr
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Unsere Kultur beruht auf dem Übermaß . Susan Sontag
Zwei große Paradigmen prägen unsere zeitgenössische Kultur: Wachstum und Macht. Davon erzählen diese Bilder. Sie sind das Ergebnis meines Zweifels an der Welt im Wachstumswahn und mein persönlicher Bannspruch gegen das Diktat des Immer-Mehr. Andererseits sind sie auch Zeugnisse der Funktionslust, die mit der praktisch unbegrenzten Verfügbarkeit ästhetischer Mittel in digitalen Prozessen einhergeht.
Indem ich Dinge und Begriffe, die meinen Alltag prägen, bis zur Deutungsgrenze reduziere und modifiziere, treten sie den Betrachtern (auch mir selbst) als etwas Fremdes gegenüber. Das Material dieser Werkgruppe – Schlagworte, Floskeln, Zeichnungen und Fotos aus den Tagesnachrichten – verliert mit seinem Kontext auch seine landläufige Bedeutung und offenbart, in welch hohem Maße das, was wir Wirklichkeit nennen, Deutung ist.
Indem sich die Lobpreisungen des Mehr gegenseitig zu überbieten suchen, entsteht Chaos, das oft nur mühsam durch rigide Ordnungsmuster im Zaum gehalten wird. Dabei zerfällt mit der Lesbarkeit der Wörter und Bilder auch ihr kontextueller Gehalt. Wenn wir sowohl mehr Krieg als auch mehr Frieden, mehr Zahnbürsten als auch mehr Autonomie brauchen, dann erodiert Sinn, reduziert sich auf einen einzigen Wert: MEHR VON ALLEM.
Wie die KI das Ausstellungskonzept sieht
Willkommen zu unserer Kunstausstellung "Wir brauchen mehr", in der wir die komplexen und oft widersprüchlichen Facetten des grenzenlosen Wachstumszwangs in industriell-kapitalistischen Gesellschaften beleuchten. In einer Welt, die ständig nach "mehr" strebt – mehr Siege, mehr Socken, mehr Panzer, mehr Frieden, mehr Urlaub – laden wir Sie ein, die Absurdität und Willkür dieser Forderungen zu hinter-fragen.
Die großformatigen Digital Prints, die Sie hier sehen, sind nicht nur visuelle Darstellungen, sondern auch kritische Reflexionen über die Inversion von Fortschritt in Zerstörung. Jedes Bild und jeder Text ist Teil eines Mantras, das uns dazu anregt, über die Konsequenzen unseres Konsumverhaltens und unserer gesellschaftlichen Werte nachzudenken.
Durch die Kombination von eindringlichen Bildern und provokanten Texten möchten wir die Besucher dazu anregen, die tiefere Bedeutung hinter der Forderung nach "mehr" zu erkennen. Was bedeutet es wirklich, mehr zu wollen? Und auf wessen Kosten geschieht dieses Streben?
Wir laden Sie ein, sich auf eine visuelle und gedankliche Reise zu begeben, die nicht nur die Absurdität des "Mehr" erlebbar macht, sondern auch Raum für neue Perspektiven und Diskussionen schafft. Lassen Sie uns gemeinsam die Frage stellen: Was brauchen wir wirklich?
Vielen Dank, dass Sie Teil dieser wichtigen Auseinandersetzung sind.
Die exzessive Verknüpfung von Daten produziert autonome Sinngehalte
Eines der jüngeren Ergebnisse unseres Strebens nach ständiger Verbesserung ist die rasante Entwicklung der KI. Der nebenstehende Text wurde anhand einiger Stichworte von Chat GPT innerhalb von Sekunden erstellt. Eine genauere Analyse enthüllt die erstaunliche Tatsache, dass die KI nicht nur aus den Stichworten einen ansprechenden Text formuliert (das tut sie auch), sie zieht auch selbständig Schlüsse über die Weltsicht des Stichwortgebers. So kommt sie zu Begriffen und Formulierungen, die hinter den Stichworten allerhöchstens zu vermuten sind, sich dann aber als zwingende Schlussfolgerung behaupten.
So bietet die KI dem Betrachter beispielsweise das Fazit an: „Was brauchen wir wirklich?“ und liefert damit didaktische Gebrauchsanweisungen, die jenseits dessen liegen, was diese Bilder m. E. leisten können und sollen. Das zeigt einerseits, dass selbst ein kostenloses für jedermann verfügbares Tool in der Lage ist Schlüsse zu ziehen, die bislang allein dem menschlichen Erkenntnis- und Reflexionsvermögen vorbehalten waren. Andererseits überinterpretiert die KI den normativen Gehalt des visuellen Materials und ignoriert völlig seinen ästhetischen: Das freie Spiel mit dem Zufall und der Lust am Überschreiten von Grenzen, mit Brüchen und Inkonsistenzen, die der frei flutenden Kreativität der Betrachter eine Bühne bieten und zu eigenen Fragen und Schlüssen anregen können.
Reduktion versus Komplexität
Hyperkomplexität führt in der Regel zu Konfusion, zu unlösbaren Problemen und im Extremfall zum Zusammenbruch von Systemen. Hyperkomplexe digitale Operationen in Grafikprogrammen können hingegen ästhetisch hochinteressante, nicht beabsichtigte, unvorhersehbare Ergebnisse – sog. Serendipität – erzeugen.
Die Reduktion von Differenz führt zur Verminderung von Komplexität, zur Prägnanz. Seit Urzeiten bevorzugt unser visueller Rezeptionsapparat prägnante Gestalten, die einfachen Ordnungsprinzipien folgen. „Gute Gestalten“ empfinden wir gemeinhin als schön und angenehm, indes wir hochdifferente Ordnungen tendenziell als „chaotisch“ ablehnen.
Zeitgenössische Kunst stellt dieses Leit-bild in Frage. Erhöhte Differenzierung – einschließlich der Akzeptanz von Un-schärfen, Widersprüchen, offenen Fragen, Brüchen und „Hässlichkeiten“ anstelle des Reduktionsstrebens – ermöglicht neue, reichere Wahrnehmungs-Erlebnisse.
So problematisch das exzessive MEHR in politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Kontexten auch sein mag, im Mikrobereich der experimentellen visuellen Kommunikation kann exzessive Quantität neue künstlerische Formen und Konstellationen erzeugen. Die zufallsgesteuerte Deformation von Schrift und Bild bis zur Grenze des Noch-Lesbaren in meinen Arbeiten ist ein Beispiel solch lustvoller Prozesse.
Serendipität - die Lust am Dialog mit dem Zufall
Finden, was man nicht gesucht hat, ent-decken, was ohne eigenes Zutun entsteht: Serendipität, das ist das visuelle Abenteuer der „positiven Enttäuschung“ wenn – bewusste oder unbewusste – Erwartungen nicht erfüllt werden. Geschenke des Zufalls, die mich lehren, nicht nur meinen eigenen Plänen zu vertrauen, sondern offen zu bleiben für das Nichteigene.
Die Werkgruppe „wir_brauchen_mehr“ ist das Ergebnis eines zeitkritischen Konzepts einerseits. Andererseits ist sie ein Dokument des Zusammenspiels von Mensch und Maschine, von Kognition und Algorithmen und der „Autonomie der großen Zahl“, d.h. der Erzeugung des Unerwarteten aufgrund von Hyperkomplexität.